Zwischen Entzug und Exzess: Schattenontologie und spekulativer Realismus

Ein Versuch über Negativität, Wirklichkeit und die Grenzen des Denkens

Beitrag von Erwin G. Ott vom 3. Juli 2025

Dieser Essay entwickelt eine systematisch gegenläufige Position zum spekulativen Realismus, indem er dessen Streben nach einer Wiedergewinnung des Realen durch spekulative Ontologisierung mit einer Philosophie des Entzugs konfrontiert. Während Vertreter des spekulativen Realismus – etwa Quentin Meillassoux, Graham Harman oder Timothy Morton – versuchen, das Außen des Denkens über Begriffe wie Archi-Faktizität, Hyperobjekt oder Objektzugang neu zu denken, kritisiert die Schattenontologie gerade diesen Zugriff als epistemische Wiederholung einer metaphysischen Geste.

Die Schattenontologie schlägt demgegenüber eine Ontologie des Zögerns vor: Sie denkt das Reale nicht als Objekt, sondern als strukturierende Latenz, nicht als Totalität, sondern als fragmentarische Spur. Ihre zentralen Begriffe – Verdunkelung, Nichtverfügbarkeit, Transklusion und Exosition – markieren ein Denken, das sich nicht auf Weltwiedergewinnung richtet, sondern auf die Anerkennung des Nicht-Zugriffs. Der Realismus der Schattenontologie besteht gerade nicht in der Spekulation über das Reale, sondern in der Entscheidung, dem Entzug nicht durch neue Systeme zu begegnen, sondern durch ontologische Zurückhaltung.

Der Text argumentiert, dass jede spekulative Ontologisierung des Entzugs in Gefahr steht, das Reale erneut unter epistemischen Zugriff zu bringen – und entwirft dagegen eine Philosophie, die nicht auf Behauptung, sondern auf Verzicht basiert. Damit wird Schattenontologie nicht zu einer spekulativen Philosophie zweiter Ordnung, sondern zu einer radikal anderen Figur des Denkens: lauschend, zögernd, apophatisch. Nicht die Setzung des Absoluten, sondern das Aushalten seiner Unzugänglichkeit wird zur zentralen epistemischen Haltung.

In einer Zeit der ontologischen Überproduktionen und diskursiven Beschleunigungen plädiert dieser Essay für eine Verlangsamung der spekulativen Geste – für eine Philosophie, die das Reale nicht ersetzt, sondern in seinem Schatten bestehen lässt.