Der vorliegende Essay untersucht die Bedeutung der romantischen Naturphilosophie – insbesondere bei Goethe, Schelling und Ritter – im Kontext des New Materialism des 21. Jahrhunderts. Ausgangspunkt ist die doppelte Herausforderung des Anthropozäns: die ökologische Krise als praktische Dringlichkeit und die theoretische Infragestellung eines Naturverständnisses, das auf mechanistischem Materialismus und anthropozentrischen Strukturen beruht. Der New Materialism antwortet auf diese Herausforderung, indem er Natur als prozessual, relational und eigenaktiv begreift und damit klassische Trennungen zwischen Subjekt und Objekt, Geist und Materie, Kultur und Natur auflöst.
Der Essay verfolgt eine problemorientierte Vorgehensweise: Zentrale Fragen des New Materialism – die Agency der Materie, Prozessualität, Unsichtbarkeit, Dezentrierung des Subjekts und die Rolle der Ästhetik – werden mit Denkfiguren der Romantik in Resonanz gebracht. Goethe, Schelling und Ritter erscheinen dabei nicht als historische Autoritäten, sondern als Resonanzfiguren, die bestimmte Sensibilitäten und methodische Haltungen repräsentieren: Goethes Metamorphose als Figur des Werdens, Schellings Naturproduktivität als radikale Kritik an Mechanismus und Reduktionismus, Ritters Experimente als Inszenierung der unsichtbaren Kräfte und Schwingungen der Natur.
Das Ergebnis ist ein ambivalentes Bild: Zwischen Romantik und New Materialism bestehen deutliche Kontinuitäten (Natur als Prozess, Eigenaktivität, Interdisziplinarität von Wissenschaft und Ästhetik), zugleich aber auch Brüche (Subjektzentrierung vs. Dezentrierung, metaphorische Bildlichkeit vs. ontologische Strenge). Diese Spannung kann nicht durch einfache Synthese aufgelöst werden. Vielmehr zeigt sich, dass eine neue Naturphilosophie gerade darin bestehen könnte, diese Differenzen resonant auszuhalten: poetische Sensibilität ohne Harmonisierung, posthumane Radikalität ohne Abstraktion.
Im Ausblick entwirft der Essay das Bild einer Natur als lebendiger, unsichtbarer, vibrierender Fluss – ein Denken, das nicht abschließend ordnet, sondern Offenheit, Prozessualität und Relationalität ernst nimmt. Damit verbindet sich eine doppelte Aufgabe: die Entwicklung einer Sprache, die wissenschaftliche Präzision mit ästhetischer Feinfühligkeit verbindet, und die Etablierung einer Verantwortungsethik, die menschliches Handeln als Eingriff in vibrierende Gefüge begreift.
So eröffnet die Auseinandersetzung mit der Romantik und dem New Materialism keinen fertigen Schluss, sondern einen offenen Denkraum, in dem Natur im 21. Jahrhundert neu verstanden werden kann – zwischen poetischer Sensibilität und posthumaner Radikalität.