Der Essay untersucht das ambivalente Verhältnis zwischen Psychoanalyse und politischer Praxis. Ausgehend von einer genealogischen Rekonstruktion psychoanalytischer Auseinandersetzungen mit dem Politischen – von Freuds Massenpsychologie über die Kritische Theorie, Lacan und den Poststrukturalismus bis zur gegenwärtigen Wiederkehr in Polarisierungs- und Sicherheitsdiskursen – zeigt er, wie psychoanalytische Deutungen affektive Tiefenstrukturen erhellen, zugleich aber Risiken wie Pathologisierung, Entpolitisierung und asymmetrische Machtausübung bergen.
Die systematische Verhältnisbestimmung typisiert Modelle des Einsatzes (Tiefenhermeneutik, Intervention, Ideologiekritik, Ergänzungs- versus Konkurrenzmodell) und entfaltet normative Spannungen: Wer darf wen wie deuten, wie werden Diagnosen zu Normen, und wie verhalten sich politische Grundkonzepte wie Mündigkeit, Autonomie oder Verantwortung zum Gedenken einer Determination des Einzelnen durch das Unterbewusste? Die Perspektive philosophischer Angemessenheit – verstanden als relationale, reflexive und prekäre Urteilskraft – bietet Orientierung: Sie formuliert Minimalanforderungen (Reflexivität, Hypothetik, Dialogizität, Pluralismus), markiert rote Linien (Pathologisierung, Entpolitisierung, Übergriff) und betont die Notwendigkeit pluralistischer Einbettung.
Der Essay plädiert für eine verantwortete Praxis, die psychoanalytische Einsichten in reflexive Räume und institutionelle Kontexte integriert, um Selbstaufklärung zu stärken, ohne das Politische zu kolonisieren. Psychoanalyse ist kein Allheilmittel, sondern ein riskantes Werkzeug, das Machtfragen reflektiert behandeln kann, sich dabei aber seiner eigenen Prekarität bewusst bleiben muss.