Der vorliegende Essay entwickelt eine umfassende philosophische Analyse der modernen Wirtschaftswissenschaft, indem er sie nicht als neutrale empirisch-mathematische Disziplin, sondern als vielschichtigen Träger und Produzenten spezifischer Formen von Vernunft begreift. Ausgehend von der Diagnose der Kritischen Theorie – insbesondere Horkheimers Begriff der „instrumentellen Vernunft“ – wird gezeigt, dass die Ökonomie der Moderne weder auf ein einheitliches Rationalitätsverständnis reduziert werden kann noch sich jenseits philosophischer Grundannahmen bewegt. Stattdessen erscheint sie als historisch gewachsene, theoretisch heterogene und konzeptionell spannungsreiche Disziplin, in der sich konkurrierende Modelle des Rationalen sedimentieren: teleologische, instrumentelle, systemische, technologische und rekonstruktive Vernunftformen
Der Essay rekonstruiert zunächst genealogisch die vielfältigen Ursprünge dieser Rationalitätsregime – von der klassischen Politischen Ökonomie über Marginalismus, Ordoliberalismus, Keynesianismus, Sozialdarwinismus und Formalismus bis zur modernen Makroökonomik, Datenwissenschaft und Institutionenökonomie. Er zeigt, wie diese Traditionen jeweils eigene Leitbilder des Menschen, der Gesellschaft, der Zeit, der Zukunft, der Ordnung und der Normativität hervorbringen. Gleichzeitig wird die komplexe Verzahnung wissenschaftlicher, politischer und technologischer Kontexte sichtbar: Märkte als Rechenmaschinen, Modelle als Steuerungsinstrumente, Daten als neue epistemische Autorität.
Im systematischen Teil entwickelt der Essay eine Typologie ökonomischer Vernunftformen und analysiert, welche blinden Flecken und welche epistemischen Chancen mit ihnen verbunden sind. Der abschließende normative Teil skizziert die Umrisse einer „rekonstruktiven ökonomischen Vernunft“, die weder in technischer Modellierung aufgeht noch in unkontrollierten Normativitätsansprüchen versinkt, sondern die Disziplin als kritisches Selbstverständigungsprojekt der modernen Gesellschaft profilieren will. Sie verbindet erklärende, normative und institutionelle Perspektiven, integriert Unsicherheit, Macht, Geschichte und ökologische Langzeitdynamiken und öffnet die Ökonomie für interdisziplinäre und reflexive Methoden.
Der Essay versteht sich damit als Beitrag zu einer philosophischen Selbstkritik der Ökonomie: als Versuch, ihre impliziten Vernunftmodelle sichtbar zu machen, sie kritisch zu prüfen und alternative Rationalitätsformen zu entwickeln, die den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessener sind.